öffentliche Podiumsveranstaltung an der Universität Luzern

Zehn Jahre «Neue Spitalfinanzierung»: Folgen, Herausforderungen, Perspektiven?

öffentliche Podiumsveranstaltung an der Universität Luzern

Die neue Spitalfinanzierung trat 2012 in Kraft um den stetigen Anstieg der Spitalkosten zu bremsen. Verschiedene Massnahmen sollten Wirkung entfalten. Das ursprüngliche Ziel waren Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Haltung der hohen Versorgungsqualität sowie mehr Wettbewerb und Transparenz. Nach nunmehr zehn Jahren ist ein Fazit erlaubt. Die Spitäler als Leistungserbringer mit ambulantem und stationärem Versorgungsauftrag, die Krankenversicherer als Finanzierer, die Kantone ebenfalls als Träger der Kosten und die Bundespolitik als Gesetzgeberin sehen naturgemäss unterschiedliche Erfolge und Herausforderungen. An der öffentlichen Podiumsveranstaltung vom 2. Mai 2022 diskutierten Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo, Regierungsrat Martin Pfister, Reto Dahinden und Benno Fuchs unter der Leitung von Hannes Blatter die feststellbaren Folgen, drängende Herausforderungen und künftige Perspektiven der neuen Spitalfinanzierung.

 

Um 18.30 Uhr begrüsste Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler, Präsidentin der Luzerner Forums, die rund 120 interessierten Gäste im Auditorium Carl Spitteler an der Universität Luzern. Sie führte die Coronapandemie und den Ukraine-Krieg als Beispiele dafür an, dass die gesellschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre noch nicht vollständig fassbar sind. Dabei spannte sie den Bogen zur Sozialpolitik, die Wirtschaft und Bevölkerung in der Schweiz seit Jahren beschäftigt. Es wird auch in Zukunft darum gehen, breit abgestützte und tragfähige Lösungen zu finden. Ein wichtiges Thema, das eine vertiefte Diskussion unterschiedlicher Akteure aus dem Gesundheitswesen verdient und zurecht auf grosses Interesse stösst.

Heisses Eisen

Hannes Blatter führte als Veranstalter und Geschäftsführer des Luzerner Forums kurz in die Thematik ein. Dabei umriss er die aktuelle Situation der Schweizer Spitallandschaft und deren Entwicklung seit Einführung der neuen Spitalfinanzierung. Die Spitalkosten bilden mit 30.3 Mrd. Franken (2019) den mit Abstand grössten Kostenblock im Gesundheitswesen (82.4 Mrd) aus. Die Anzahl Einrichtungen und Spitalbetten hat sich seit 2010 nur unwesentlich verändert, während der Personalbestand um 25% und die Kosten um 55% zugenommen haben.

 

Ebenfalls fasste Hannes Blatter die fünf geplanten Massnahmen der damaligen Revision kurz zusammen. 1. Dual-fixe Finanzierung (mind. 55% Kantone, max. 45% Krankenversicherer), 2. Leistungsbezogene Fallpauschalen, 3. Einheitliche Kriterien für die kantonale Spitalplanung (Listen, Vertragsspitäler), 4. Erweiterte ausserkantonale Spitalwahl und 5. Transparente Informationen zu Wirtschaftlichkeit und Qualität. Im Spannungsfeld dieser Massnahmen und den Ansprüchen an Kosten, Qualität und Ausgestaltung der Spitallandschaft offenbart sich die Spitalfinanzierung als heisses Eisen, an dem sich weder Leistungserbringer, Politik noch Krankenversicherer die Finger verbrennen wollen. Im Rahmen einer kurzen, einführenden Evaluation stellte Hannes Blatter fest, dass die Auswirkungen der neuen Spitalfinanzierung in die gewünschte Richtung gehen, das Wirkungspotenzial allerdings noch nicht voll ausgeschöpft ist. Damit war der Teppich für die anstehenden Kurzreferate der Podiumsteilnehmenden und die anschliessende Diskussion ausgerollt.

Vier Positionen

Nun waren die Podiumsteilnehmenden an der Reihe. In jeweils rund siebenminütigen Kurzreferaten legten sie ihre Positionen dar und formulierten Thesen, die dann in der Diskussion aufgenommen wurden. Als Erste trat die ehemalige Präsidentin der Schweizerischen Stiftung für Konsumentenschutz, die Luzerner SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo, ans Rednerpult. Sie stellte fest, dass die Fallpauschalen nicht zu den gewünschten Einsparungen geführt haben. Ebenfalls äusserte sie den Wunsch, das System so zu verändern, dass nicht der Gewinn, sondern die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen. Reto Dahinden, seit 2012 CEO der SWICA, gab Einblicke in die Sorgen und Überlegungen der Geschäftsleitung der SWICA. Dabei stellte er fest, dass die stationäre Versorgung in Spitälern durch die Obligatorische Krankenversicherung wohl knapp nicht kostendeckend ist und ein Spital nur durch die Zusatzversicherungen (VVG) überhaupt allfällige Defizite decken und einen Überschuss für künftige Investitionen erwirtschaften kann. Ebenfalls mahnte er, dass kein Weg an der Diskussion über Tabus wie Tarifschutz, Leistungsumfang, Mehrklassenmedizin und die Reduktion von Infrastrukturkosten vorbeiführe. Damit verbunden war seine Forderung an alle Akteure, die heissen Kartoffeln nun endlich anzufassen. Auf die Herausforderungen der Leistungserbringer ging Benno Fuchs, CEO der LUKS Gruppe, ein. Er plädierte für eine noch stärkere Vernetzung der Spitäler zur Stärkung der Spitalregionen. Nur so sei es möglich, die Versorgung effizient und in der richtigen Qualität zu gewährleisten. Und Benno Fuchs machte klar, dass die Digitalisierung weiter und vor allem schneller vorangetrieben werden müsse. Dazu brauche es aber in naher Zukunft grosse Investitionen. Um diese finanzieren zu können, sei eine kostendeckende Leistungsfinanzierung unabdingbar. Martin Pfister ist Vorsteher der Gesundheitsdirektion des Kantons Zug und in dieser Funktion für die Umsetzung der neuen Spitalfinanzierung auf kantonaler Ebene verantwortlich. Er attestierte der neuen Spitalfinanzierung aus technischer Sicht positive Wirkung. So funktioniere das System, es käme nicht zu befürchteten blutigen Entlassungen, die Effizienz sei gestiegen und die Kostenentwicklung kontrollierbar. Weniger erfreulich fällt seine Evaluation aus politischer Sicht aus. Dazu formulierter der Zuger Regierungsrat drei Thesen: 1. Der Handlungsdruck der Akteure ist gegenüber früher deutlich reduziert. 2. Der staatliche Einfluss auf das Gesundheitswesen dehnt sich ständig aus. 3. Die Hürden für Investitionen in Bauten und Grossgeräte sind heute viel tiefer. Nach diesen vier Positionen war es Zeit für die kontroverse Diskussion auf dem Podium, moderiert von Hannes Blatter.

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Anspruchsvolle Finanzierung

Hannes Blatter stellte die Thesen von Martin Pfister zur Diskussion. Benno Fuchs und Reto Dahinden teilten die Thesen bezüglich Handlungsdruck und Hürden für Investitionen nicht. Über die Finanzierungsfragen kamen dann sehr rasch auch die gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL) und das Reformpaket EFAS zur Sprache. Benno Fuchs machte auf die schwierige Situation für die Spitäler aufmerksam, die mit anderen Spitälern in Konkurrenz stehen würden, aber von den eigenen Kantonen über die GWL stark subventioniert würden. Er hielt fest: «Es braucht absolute Transparenz bei den Leistungen und deren Finanzierung. Insbesondere bei den gemeinwirtschaftlichen Leistungen.» Anschliessend wurde das Reformprojekt EFAS eingehend diskutiert. Während Reto Dahinden dafür plädierte die Langzeitpflege aus Gründen der Machbarkeit und des zeitlichen Drucks vorerst nicht zu berücksichtigen, stellte Prisca Birrer-Heimo klar: «Wir müssen sowohl bei der Leistungserbringung als auch bei der Finanzierung die gesamte Versorgungskette betrachten.» In die gleiche Kerbe schlug auch Martin Pfister: «In einem integrierten System muss die Langzeitpflege zwingend enthalten sein. Nur so kann EFAS zu einem System mit den richtigen Anreizen werden.» Reto Dahinden seinerseits wies auf die Diskrepanz zwischen Leistungsfinanzierung in der Grundversicherung und in der Zusatzversicherung hin: «Mich irritiert der Trend, dass wir uns mit dem Grundversicherungsniveau dem früheren Zusatzversicherungsniveau annähern.» Eine Folge daraus sei, dass stationäre Behandlungen in der Grundversorgung nur selten kostendeckend angeboten werden können. Das erhöhe den Druck auf die Zusatzversicherungen. Für künftig dringend notwendige Investitionen ist es für Leistungserbringer entscheidend, wie und wo sie Gewinne erwirtschaften können.

Zusatzversicherungsmarkt und Ambulantisierung

Reto Dahinden wies auf die Diskrepanz zwischen Leistungsfinanzierung in der Grundversicherung und in der Zusatzversicherung hin: «Mich irritiert der Trend, dass wir uns mit dem Grundversicherungsniveau dem früheren Zusatzversicherungsniveau annähern.» Eine Folge daraus sei, dass stationäre Behandlungen in der Grundversorgung nur selten kostendeckend angeboten werden können. Das erhöhe den Druck auf die Zusatzversicherungen. Für künftig dringend notwendige Investitionen ist es für Leistungserbringer entscheidend, wie und wo sie Gewinne erwirtschaften können. Benno Fuchs stimmte zu und ergänzte: «Wenn der Bereich der Zusatzversicherungen zusammenbricht, bekommen wir ein Problem mit der Finanzierung. Das Spital findet vor dem Spital statt. Die zunehmende Ambulantisierung verlangt massive Investitionen in die Anpassung von Prozessen und Strukturen. Gleichzeitig ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen stark zu forcieren.» Die Verschiebung von stationären hin zu ambulanten Behandlungen ist ein wesentlicher Teil der Neuausrichtung der Spitallandschaft. In der Diskussion wurde auch die Sorge über die vielen anstehenden Spitalinvestitionen geäussert. Dazu Reto Dahinden: «Ich wünsche mir, dass die Investitionen in die ambulante Versorgung mit Reduktionen des stationären Angebots einhergehen. Aktuell bauen wir beide Bereiche aus.»

Tragfähige Lösungen

Die Podiumsteilnehmenden waren sich einig, dass die Weiterentwicklung des Schweizerischen Gesundheitswesens und insbesondere Massnahmen zur Kostendämpfung, ein komplexes Unterfangen sind. Es brauche dafür aber in Zukunft von allen Akteuren mehr Kompromissbereitschaft. Die Richtung ist indes klar, machte Martin Pfister abschliessend klar: «Der staatliche Einfluss auf das Gesundheitswesen dehnt sich ständig aus. Die Akteure scheinen die Sicherheit dem Risiko und der Unabhängigkeit vorzuziehen.» Auch Prisca Birrer-Heimo plädierte für mehr Koordination der verschiedenen Leistungsbereiche. Und ergänzte mit Blick in die Zukunft: »Viele unterschiedliche Akteure blockieren sich seit Jahren gegenseitig. Ich hoffe, dass wir in Zukunft einen Konsens erreichen, um das Gesundheitswesen insgesamt weiter zu entwickeln mit dem Ziel, die Patientinnen und Patienten ins Zentrum zu stellen.» Dafür müsste aber das Wettrüsten im Leistungsbereich überflüssig werden. Dafür brauche es, so die einhellige Meinung, Entschädigungen, die Spitälern im Bereich der Grundversorgung eine kostendeckende Finanzierung ermöglichen. Es bleibt zum Ende die Hoffnung, dass sich die Akteure in Zukunft noch stärker zusammenraufen, um die mit der neuen Spitalfinanzierung von 2012 angestrebten Ziele zu erreichen.

 

Anschliessend an die Diskussion offerierte das Luzerner Forum einen Apéro riche. Podiumsteilnehmende und Gäste nutzten dabei die gebotene Gelegenheit, die angesprochenen Themen weiter zu vertiefen.

Programm

- Veranstaltungsflyer

Photos der Veranstaltung

Hier finden Sie Eindrücke dieser Veranstaltung.

Video der Veranstaltung

Hier finden Sie das Video der Veranstaltung.

Medienmitteilung

Medienmitteilung: Zehn Jahre «Neue Spitalfinanzierung» – Die Probleme sind nicht gelöst

Die Präsentationen

Präsentationen: Zehn Jahre «Neue Spitalfinanzierung»

Datum und Zeit

Montag, 2. Mai 2022
18.30 bis 20.00 Uhr mit anschliessendem Apéro riche

Teilnehmende am Podium

Moderation

Veranstaltungsort

Universität Luzern
Hauptgebäude
Hörsaal 9
Frohburgstrasse 3
CH-6002 Luzern

Veranstaltungspartner